Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

So lautet der erste Absatz des Artikels 7 der Bundesverfassung in seiner heutigen Version.

Eine Verfassung beinhaltet die Grundregeln für einen Staat: wie dieser aufgebaut ist, wie die Institutionen, die Gesetzgebung und die Gerichte funktionieren.

Wie die Verfassung des neuen Staates formuliert sein sollte, darüber wurde im Parlament intensiv diskutiert. In der Vitrine an der Wand vor sich können Sie in der Mitte einen Entwurf dazu finden.

Darauf sind Bleistiftkorrekturen sichtbar. Hier kommt der komplizierte Aushandlungsprozess zum Vorschein, den die im Parlament vertretenen Parteien ausgetragen haben. Es gab viele strittige Punkte, für die jedoch Kompromisse gefunden werden konnten.

Das Dokument in der Vitrine ganz rechts ist eine Ausgabe der Wiener Zeitung vom 1. Oktober 1920. Darin wurde das Inkrafttreten der Verfassung offiziell verkündet. Links unten auf diesem Dokument finden Sie auch den eingangs zitierten Artikel 7 mit dem Gleichheitssatz.

Es war der Jurist Hans Kelsen, der die neue Verfassung maßgeblich prägte. Auch ihm ist eines der großformatigen Porträts in diesem Raum gewidmet, das sich gleich hinter Ihnen befindet. Er wird häufig als „Architekt der Verfassung” bezeichnet. Ihm zufolge sollte dem Parlament eine starke und zentrale Rolle zukommen.

Es sollte nicht nur eine „Abstimmungsmaschine“ sein, sondern ein Ort der Diskussion unterschiedlicher Standpunkte – mit dem Ziel, einen Kompromiss zu finden, mit dem möglichst alle Parteien einverstanden sind.

Zentral in Kelsens Konzept von Demokratie ist das Verhältnis zwischen Minderheiten und Mehrheiten: Demokratie heißt demnach nicht, dass nur die Mehrheit das Sagen hat, sondern dass auch die Position von Minderheiten bzw. der Opposition in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden muss.

Ebenfalls auf Kelsen zurückzuführen ist die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs. Dort kontrollieren unabhängige Richterinnen und Richter, ob Gesetze der Verfassung entsprechen. Österreich war das erste Land, das einen Verfassungsgerichtshof einführte.

Die Verfassung wurde 1929 abgeändert und im Zuge dessen die Position des Bundespräsidenten gestärkt. Dieser wurde nun direkt vom Volk gewählt und erhielt Entscheidungsmacht, die bis dahin beim Parlament gelegen war. Dies stand im Widerspruch zu Kelsens Vorstellungen.

Diese Verfassung war bis zur Errichtung der österreichischen Diktatur 1934 in Kraft und wurde 1945 wiedereingesetzt. Sie ist bis heute gültig und wird immer wieder aktualisiert als Ausdruck einer lebendigen, dynamischen Demokratie.