Über der Flasche finden Sie ein Plakat der Neckenmarkter Weintage von 1989 und zwei Landkarten. Sie zeigen das Gebiet der burgenländischen Grenze zu Ungarn rund um Sopron. Auch Neckenmarkt ist eingezeichnet.

Hans Iby stammt aus Neckenmarkt und ist im Weinbau tätig. Im August 1989 hatte er, wie jedes Jahr, gemeinsam mit Karl Schöll die Neckenmarkter Weintage organisiert. In den frühen Morgenstunden traten die beiden aus der Winzerhalle:

„Plötzlich hat sich ein junger Bursch vor uns niedergelegt und hat gerufen: ‚Wo bin ich?‘ […] Nachdem’s ein sehr ausgiebiges Fest mit vielen Weinen war, hab I ma gedacht, er hatte etwas zu viel des guten Rotweines und Blaufränkisch getrunken, und der Karl hat g’meint: ‚Aha, hast a bissl zu viel derwischt.‘ Daraufhin hat er g’sagt: ‚Nein, ich bin geflüchtet! Über die Grenze! Wo bin ich?‘ – ‚Na in Österreich.‘ Sehr schön. Also das war der Beginn, für uns, der Flüchtlingswelle.“

Der junge Mann hatte die Flucht über den sogenannten Eisernen Vorhang geschafft. Diese Grenze teilte zu diesem Zeitpunkt ganz Europa in Ost und West. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden in Europa zwei Staatenblöcke – kapitalistisch ausgerichtete, liberale Demokratien im Westen unter dem Einfluss der USA und kommunistisch regierte Staaten im Osten unter der Führung der Sowjetunion, des heutigen Russland –, die in einem auch als „Kalter Krieg“ bezeichneten Konflikt miteinander standen.

Die Grenze war schwer bewacht und gesichert. Viele Menschen versuchten, im Laufe der Zeit von Osten nach Westen zu fliehen – ein lebensgefährliches Unterfangen. Ende der 1980er Jahre stand der kommunistische Einflussbereich vor dem Zusammenbruch. Im Frühjahr 1989 begann Ungarn mit dem Abbau der Grenzanlagen.

Viele Bürgerinnen und Bürger aus der DDR, der kommunistischen Diktatur im Osten Deutschlands, versuchten daraufhin, über Ungarn und Österreich in das demokratische Westdeutschland zu gelangen. So auch Uwe, der junge Mann, auf den Hans Iby und Karl Schöll am frühen Morgen eines Augusttags 1989 in Neckenmarkt trafen.

Nach einem gemeinsamen Frühstück begleiteten sie ihn zur Gendarmerie, damit er einen Antrag auf Asyl stellen konnte – es dauerte jedoch, bis sie eine Station fanden, in der die Gendarmen überhaupt wussten, was in einem solchen Fall zu tun sei. Uwe berichtete außerdem vom nahe gelegenen Campingplatz in Sopron, wo hunderte Menschen auf eine Gelegenheit zur Flucht warteten.

Hans Iby, Karl Schöll und andere beschlossen, zu helfen. Sie fuhren zum Campingplatz und verteilten Karten, auf denen sie die Fluchtroute durch den Wald einzeichneten, und markierten Bäume mit roten Schleifen.

Bis zur Öffnung der Grenze etwa einen Monat später kamen täglich zwischen 50 und 100 Flüchtende aus der DDR über die ungarische Grenze nach Neckenmarkt, wo sie empfangen und versorgt wurden.

Hans Iby war später 15 Jahre lang Bürgermeister von Neckenmarkt. Zu manchen der DDR-Flüchtlinge hatte er noch lange Kontakt. In der Vitrine vor sich können Sie Dokumente sehen, die Hans Iby aufbewahrt hat: darunter sämtliche Dokumente eines Flüchtlings, die seinen Weg nach Westdeutschland dokumentieren, sowie eine Postkarte und ein Brief.

Der Grenzabbau veränderte das Leben in vielen Regionen. Wo vorher beinahe das „Ende der Welt“ war, eröffneten sich plötzlich neue Möglichkeiten. Nach vielen Jahren, in denen die Grenzen offen waren, kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Schließungen: 2015 als Reaktion auf Fluchtbewegungen aus Afrika und Asien, im Jahr 2020 aufgrund des Coronavirus.