Idealisierung und Zähmung: Neue Österreich-Bilder
Im Jahr 1935 wurde die Großglockner Hochalpenstraße eröffnet. Sie quert Pässe auf über 2.500 Meter Seehöhe und ist damit bis heute die höchstgelegene mit Autos befahrbare Passstraße Österreichs.
Der Bau der Hochalpenstraße diente nicht nur der Verbindung von zwei Tälern. Im Vordergrund standen wirtschaftliche und politische Überlegungen: Die Regierung der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur wollte damit zeigen, dass sie Arbeitsplätze schaffen konnte. Zugleich sollten Touristinnen und Touristen angelockt werden. Beim Plakat mit den vielen Fahnen handelt es sich um ein Werbeplakat, das Österreich das Image eines Alpen- und Tourismuslandes geben sollte.
Der Bau der Straße hatte somit auch eine große symbolische Bedeutung. Er wurde als herausragende Leistung Österreichs gefeiert und nationalistisch gedeutet. Die Allgemeine Automobil-Zeitung schrieb im Juli 1935, Zitat:
„Groß und herrlich zieht sich die neue Straße – das Werk eines Jahrzehnts – über den steinernen Riesenleib der Hohen Tauern. […] Mit der Schaffung der Großglockner-Hochalpenstraße hat Österreich ein leuchtendes Zeugnis für seinen Lebenswillen und für seine Lebenskraft abgelegt.“
Zitat Ende.
In derselben Zeitung bezeichnete der damalige Salzburger Landeshauptmann die Entstehungsgeschichte als, Zitat, „Geschichte eines technischen Krieges gegen widerstandsvolle Bergmassen“. Zitat Ende.
Wie dieser Audioguide später noch zeigen wird, sind solch gewaltige Bauprojekte oft Ausdruck einer Haltung, bei der neben wirtschaftlichen und pragmatischen Interessen auch symbolische Interessen eine zentrale Rolle spielen, etwa um die Macht und die Fähigkeiten eines Staates zu demonstrieren. Die Natur wird dabei als „wilde“ Gegenspielerin dargestellt, die es zu bezwingen gilt, mit den Mitteln der Technik und des menschlichen Verstandes.
Ein ganz anderer Bereich staatlicher Selbstdarstellung sind die Motive auf Geldscheinen und Münzen. Die sechs Münzen auf der weißen Platte rechts des Plakats zeigen den politischen Bruch 1933/34. Die Regierung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß hatte ab 1933 begonnen, die 1918 gegründete demokratische Republik in einen autoritären Staat umzubauen.
Die Münze links oben, ein Schilling, zeigt das Parlament, das Zentrum der Demokratie. Im Jahr 1934 wurde das Motiv auf der Schilling-Münze geändert: Die Münze auf der rechten Seite zeigt eine Getreideähre. Die Symbole sind nicht ganz einfach zu erkennen: An der Platte ist daher eine Lupe angebracht.
Die Getreideähre auf der Münze verweist auf die Landwirtschaft, die wirtschaftlich wie ideologisch eine wichtige Rolle in der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur spielte.
Das Ziel der österreichischen Diktatur war es, die demokratische Republik durch einen sogenannten Ständestaat zu ersetzen, bei dem die Gesellschaft in Berufsstände eingeteilt wird, wie etwa Landwirtschaft, Industrie, öffentlicher Dienst. Der jeweilige Stand war in dieser Vorstellung den Menschen quasi „naturgegeben“ zugeteilt.
Die bäuerliche Arbeit, der bäuerliche „Stand“ wurde romantisch verklärt, die Figur des Bauern überhöht. Dass er durch harte Arbeit aus der Natur das „tägliche Brot“ herstellt, wurde religiös als Erfüllung des Auftrags Gottes an den Menschen gedeutet. Die Idealisierung des Bauernlebens war auch Teil des Führerkults um Dollfuß, der aus bäuerlichen Verhältnissen stammte. Eine Huldigungsschrift trug etwa den Titel Der Heldenkanzler. Ein Lied der Scholle. Mit „Scholle“ war das Stück Land gemeint, das ein Bauer geerbt und durch seine Arbeit fruchtbar gemacht hatte.
Die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur wurde durch den sogenannten „Anschluss” im März 1938 vom Nationalsozialismus abgelöst. Auch in der Weltanschauung des Nationalsozialismus spielte die „Scholle“, der „Boden“, eine zentrale Rolle, jedoch verbunden mit einer deutlich radikaleren, rassistischen Einstellung.