Entrechtung und Verfolgung: Die nationalsozialistische Terrorherrschaft
Von einer Terrasse der Neuen Hofburg am Heldenplatz aus – des Gebäudes, in dem Sie sich jetzt gerade befinden – verkündete Adolf Hitler am 15. März 1938 das Ende der Selbstständigkeit Österreichs. Die riesige, jubelnde Menschenmenge zeugte von der Begeisterung vieler Österreicherinnen und Österreicher für den sogenannten „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland. Am 11. März 1938 hatten österreichische Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten die Macht im Land übernommen, am 12. März war die deutsche Wehrmacht einmarschiert.
Damit begannen Verfolgung und Terror auf offener Straße, für alle Augen sichtbar. Jüdinnen und Juden wurden öffentlich gedemütigt und misshandelt.
Der sehr kurze Filmausschnitt, den Sie hier sehen, entstand während dieser Tage im März 1938. Diese elf Sekunden sind die einzigen bekannten bewegten Bilder der Gewaltausbrüche unmittelbar nach dem sogenannten „Anschluss”. Jüdinnen und Juden wurden dazu gezwungen, die Straße zu reinigen, umgeben von einer lachenden Menschenmenge. Nicht selten kannten sich die Opfer, die Täterinnen und Täter sowie die Zuschauerinnen und Zuschauer.
Die jüdische Bevölkerung war der Gewalt schutzlos ausgeliefert, die Polizei schützte die Täterinnen und Täter.
Jüdinnen und Juden waren das zentrale Feindbild des Nationalsozialismus. Antisemitismus war bereits davor weitverbreitet. Diskriminierung wurde ab März 1938 zunehmend gesetzlich festgeschrieben. Die Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen rechtfertigten die Maßnahmen mit der Behauptung, dass die sogenannte deutsche „Volksgemeinschaft“ von „den Juden“ angegriffen werde.
Denjenigen Menschen, die die Nürnberger Gesetze als „Jüdinnen“ oder „Juden“ bezeichneten, wurden viele Rechte genommen. Die nationalsozialistische Weltanschauung ging grundsätzlich von einer Ungleichwertigkeit von Menschen aus, die sie in „Rassen“ einteilte.
Die Bevölkerung wurde Schritt für Schritt an die immer alltäglicher erscheinende Gewalt gewöhnt. Am Anfang standen Parolen und Ideologie, die nach dem „Anschluss“ im Jahr 1938 zu Aktionen wurden. Wie hier zu sehen ist, wurde dies aber nicht allein durch die nationalsozialistischen Gesetze möglich, sondern durch die Handlungen oder die unterlassenen Handlungen vieler. Die Filmaufnahme vor Ihnen stellt die Frage nach dem Verhalten Einzelner: Die Reaktionen der Zusehenden sind Teil der Gewalt und Erniedrigung.
Der Schriftsteller Carl Zuckmayer schrieb über diese Tage in Wien:
„Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen: die einen in Angst, die andren in Lüge, die andren in wildem, haßerfülltem Triumph. […] Ich erlebte die ersten Tage der Naziherrschaft in Berlin. Nichts davon war mit diesen Tagen in Wien zu vergleichen.“